Lernen mit Ruinen

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„Dungeon“ oder „Das Dungeon Department“

Dungeons (zu deutsch Kerker) waren vormals die finsteren Keller älterer Bestrafungssysteme, in denen zu Beginn der Neuzeit die Aufklärung ihre Widersacherinnen, Heretiker*innen, Hexen und abweichende Körper folterte. Heute bezeichnet der Begriff, verortet in einem geschichtslosen Mittelalter, die imaginären Höhlen und Schauplätze von Fantasy-Kulturen und Roleplay-Games. Vor allem aber beschreibt er die halb verborgenen Orte der BDSM-Kultur, in denen intime Fantasien und einvernehmlich ein Spiel mit Lust und Schmerz erforscht werden.
Die Praktiken, Ästhetiken und Ethiken des Dungeons sind deshalb interessant, weil sie, anders als Praktiken des Sehens und Zeigens, sowohl aus dem Theater als auch aus der Universität ausgeschlossen sind. Sie finden nicht vor den Augen aller statt. Die Körper, die hineinkommen, sind nicht nur Augen und Kopf. Wer einen Dungeon betritt, ist nicht in der Öffentlichkeit, sondern Teil einer verschworenen Gemeinschaft. Zuweilen braucht man ein Safeword, was nicht Ausdruck der spezifischen Gefährlichkeit ist, sondern Zeichen eines gesteigerten Bewusstseins dafür, dass man Spielen kann, so wan aufs Spiel setzen kann, und genau das Vertrauen und Sicherheit braucht.

Dunkelheit, Unsichtbarkeit, Undurchsichtigkeit / Opazität, Magie, der Körper, Queerness, Erotik, Extase, Intimität, die Untrennbarkeit von Schmerz und Lust, Körperhorror, Körperphantasien.

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„Das Feld“ oder „Das Field Department

Das lateinische Wort „Campus“ bezeichnete einst das Areal von Universitäten, in denen Studierende mit ihren Büchern von Gebäude zu Gebäude durch Parks liefen und dort auch wohnten, wurde aber bald zur Bezeichnung von neoliberalen und manchmal privaten Universitäten, die auf ihrem Campus ihre eigenen Regeln machen, und andere Leute draußen halten konnten. Und schliesslich zur Bezeichnung von Gebäudeensambles von Unternehmen, die ihre Mitarbeiter*innen die dort arbeiten müssen, abgeschottet von der Aussenwelt so viel Annehmlichkeiten bieten wollen, dass sie gar nicht mehr raus wollen.
Ganz anders als die ursprüngliche Bedeutung: Im Lateinischen bezeichnet „Campus“ einfach ein Feld oder eine ehemals landwirtschaftlich genutzte Freifläche, nicht von Mauern umgeben, sondern vor den Mauern der Stadt, die zum Lagern, Spielen, zum Sport, für militärisches Exerzieren, zum Anbauen von Gemüse und für Feste genutzt wurde, und wo, anders als in der Stadt, auch fremden Kulten Tempel errichtet werden durften.
Dem Wort „Feld“ anstatt des Wortes „Campus“, wohnt ein Versprechen inne, dass die ausschliessenden Mauern der Universität porös werden, und Leute über die Reste der Uni, laufen könnten, ohne dass sie wissen, dass dort je eine Uni war. Dass Grass wächst und andere Planzen. Dass dort etwas neues Wachsen kann, von dem wir noch nicht wissen was es ist.

Koproduktion, Permeabilität, Migration, Austausch, Feste, Inklusion, Gärtnern, Cohabition, Camping, Worlding, Fictioning, Wetter Ökologien.

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Gärtner

Ida Daniel, Tilman Aumüller und Zuzana Žabková sind Freunde und Künstler*innen, die vor einem Jahr mit einem Mal erkannten, dass es Sinn machen könnte, gemeinsam an der nächsten Ausgabe des Implantieren Festivals zu arbeiten. Voller Visionen, Frustrationen, Träume, Enttäuschungen und Hoffnungen entwickelten sie Ideen, Fantasien und poetische Sehnsüchte, die das Konzept der aktuellen Ausgabe des Festivals prägten, das sich auf Kunst als Lernen, Experimentieren und gemeinsames Hacken konzentriert, um ideologische Hierarchien und Systeme zu verändern, die einfach nur erschöpfend und redundant sind.

Zu Beginn dieses Prozesses, als sie sich mit Ruth Schmidt, Philipp Scholtysik und Nargess Behrouzian trafen, diskutierten und ein Spiel spielten, entwickelten sie die Idee verschiedener Departments, die als Hauptinfrastruktur des Festivals dienen sollten und als imaginäre Universität konzipiert waren. Sie setzten sich mit dem aktuellen Stand des Kunstschaffens und seinem Ringen um einen Raum für Gemeinsamkeiten in der Szene in Frankfurt und darüber hinaus auseinander und stellten sich das Festival als eine Universität in Ruinen vor — eine Universität, die aus der Gebrochenheit lernt und uns erlaubt, gebrochen und ruiniert zu sein.

Mit der Hilfe von Felix Heimbach als Produktionsleiter begannen sie mit dem Prozess des Wachsenlassens der Ökonomien und Ethiken des Festivals, bis Felix beschloss, tatsächlich ein echter Gärtner zu werden. Zu diesem Zeitpunkt schlossen sich Mariya Barashka und Anatoli Skatchkov dem Team an und halfen, das Festival am Leben zu erhalten, obwohl das Budget aufgrund der Finanzierungskürzungen, mit denen die meisten Künstler*innen und Institutionen derzeit konfrontiert sind, knapper war als erwartet.

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Die Zerfallene Universität:- Vision

Wenn die Universität wegzieht und mit ihr ihre zusammenhaltende Kraft verschwindet, lässt sie zurück ein Durcheinander aus Beton, aus studentischen Infrastrukturen und verlassenen Ideen. Es ist ein fruchtbares aber zugleich gefährliches Terrain. Die Universität prägte euro-westliche Gesellschaften seit Jahrhunderten: Durch Ausgrenzung, durch ausgefeilte Kritik, durch ein patriarchales Konzept von Wissen, durch alternatives Studierendenleben und Vorstellungen individualisierten Lernens. Was sollen wir angesichts aktueller Katastrophen, mit diesen Ruinen machen? Was können wir retten, anstatt alles komplett einzureißen?
Und was müssen wir neu Lernen, damit wir etwas verändern können?

Stellen wir uns vor, die Mauern der Universität werden durchlässig, vormalige Außenseiter*innen beginnen den Campus zu infiltrieren. Tief unten fangen die Türen der Verließe der Universität, in denen die Aufklärung ihre Feinde versteckt hielt, an zu verrotten. Geister, Härethikerinnen, Pflanzen und andere Wesen fangen an, sich zu vergesellschaften, und beginnen, die Kaputtheit dieses Ortes wertzuschätzen. Was kann aus diesen Ruinen wachsen, das die europäisch-westliche Universität zu einer neuen Vielfalt kompostiert?

(aus dem Open Call)

  • Das Glossar „Mit Ruinen Lernen“ wird über den Lauf des Festivals wachsen

    mit Beiträgen vom Festivalteam und anderen.

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